SO FERN SO NAH, 2008
permanente Landmarke
auf dem Gelände der RWE-Power AG in Inden, NRW

im Auftrag der Stadt Inden und der Indeland-Gesellschaft
im Kontext der Euregionale 2008, Fertigstellung bis 2009

Eva-Maria Joeressen
Pavillon

15-eckiger Pavillon aus 11 Segmenten und 4 Eingängen
Umfang: 24,16 m, Durchmesser: 7.68 m, Höhe: 3, 10 m
Segmente: B x H (außen): 1,6 x 3,1 m, Wandstärke: 20 cm
Material: weißer Beton
realisiert durch Beton Poetsch, Heinsberg

Klaus Kessner
6-kanalige Audio-Installation

6 Lautsprecher, 3 Verstärker, Computer und Live-Elektronik

 

ALLGEMEINES

SO FERN SO NAH ist poetisches Motto und mehrschichtige Gestalt zugleich:
Ein klingender Zeichen-Kreis, aufgestellt im Zentrum des Tagebaus in Inden, beleuchtet auf vielfältige Weise Relativität und Unfassbarkeit von Raum und Zeit und gibt diesem bedeutungsschweren Thema auf der Insel im Tagebau ein spielerisch-leichtes Denkmal: Es wird ein Ort markiert, ein multi-dimensionaler Raum geschaffen, der zu Ausblicken, Umblicken einlädt und letztlich Einblicke fordert und fördert. Der eigenen Dimensionslosigkeit angesichts der gigantischen Tagebaugrube, angesichts der gigantischen zeitlichen Abläufe, die diese freilegt, wird ein Maßstab entgegengestellt, den jeder für sich füllen muss.

Gerade in der starken Verdichtung des Mottos SO FERN SO NAH liegt dessen Stärke: ein individueller Appell, Verschwinden, Verschütten, Vergessen durch Freilegen, Erkennen und Erinnern zu ersetzen, Aspekte, die nicht nur im Tagebau, sondern auch in diesem Grenzgebiet Deutschland, Belgien, Niederlande besonders augenscheinlich werden.


DER PAVILLON

Der Zeichen-Kreis besteht aus 11 ausgestanzten Buchstaben, gegliedert in 4 Wortgruppen, geordnet in einer Kreisform. Hier wird ein Motto Gestalt, Gestalt als Motto präsentiert - warum?

Versucht man die Eindrücke, die sich auf dem Feld am Rand der Tagebaugrube ergeben, zu fassen, so drängt sich das Begriffspaar ‘Traumland - Traumzeit‘ auf. Die Weite der flachen Landschaft, die Tiefe der Tagebaugrube lassen die Dimensionen verschwimmen. Die ferne Zeit wird nah: Millionen von Jahren der Erdgeschichte werden als gefrorene Schichtungen direkt erfahrbar. Die nahe Zeit, sei es die stete, aber unmerkliche Veränderung der Grube, seien es die Pläne, einen riesigen Binnensee entstehen zu lassen, scheinen fern. SO FERN SO NAH ist das Motto, das sich aus dieser Wahrnehmung von ‘Traumland - Traumzeit‘ herauskristallisiert.
Aus der Ferne wirkt der Zeichen-Kreis zunächst als reine Skulptur. Die Spiegelung der Buchstabenstanzungen gibt ihren buchstäblichen Sinn nicht direkt preis. Hier dominiert ein Spiel von Verschiebungen, wechselnden Staffelungen von Stanzung, Schatten, Umgebung und Umrandung, die sich dynamisch mit dem Wechsel des Sonnenstandes und der Betrachter-Perspektive wandeln. So entsteht ein Sog, der den Betrachter förmlich ins Innere des Kreises zieht.
Von Innen - aus der Nähe - wechselt nun die Ausrichtung der Zeichen. Die durch Spiegelung und Überlagerung verschlüsselte Schrift wandelt sich in die normale Leserichtung - aus Negativ wird Positiv - und ergibt schlagartig Sinn.
Die Kreisform fordert auch eine Kreisbewegung des Betrachters. Der Satz, den die Buchstaben formen, lässt sich nie auf einen Blick lesen, man muss sich selbst drehen, um seine Botschaft komplett zu entziffern. Die Stanzung in ihrem inhärenten Springen zwischen Buchstaben und Umrandung führt zu einem steten Oszillieren zwischen Sinn und Form, auch hier ein Reigen zwischen SO FERN SO NAH.

Abstrakt besteht natürlich ein Bezug zu anderen (Stein-)Kreisen der Menschheitsgeschichte. Wenn es auch im Zeichen-Kreis nicht um kosmische Ausrichtung oder kosmische Abläufe geht, so wird man sich der Wirkung, die über das Jetzt hinausweist, sicher nicht entziehen können.

Konkret nimmt der Zeichen-Kreis Bezug auf die Form des ‘Feldherrenhügels‘, der am Rand der Tagebaugrube thront und bildet mit diesem ein weiteres SO FERN SO NAH-Paar: Auf den Feldherrenhügel steigt man hinauf und blickt in die Ferne, in den Zeichen-Kreis steigt man hinein, erfährt Nähe und blickt nach innen. Ausblick und Einblick verschränken sich hier.


DIE AUDIO-INSTALLATION

Die Audio-Installation beruht im Wesentlichen auf 4 Komponenten: Klangmaterial, Klanggestalt, Verräumlichung und Echtzeit-Abstrahlung.

Klangmaterial  - Das Klangmaterial besteht aus O-Tönen der Abbauprozesse, d.h. Aufnahmen von Förderbändern und Abbaubaggern. Diese Aufnahmen bestehen aus Geräusch im wahrsten Wortsinn: sie sind reines Produkt des jeweiligen Arbeitsablaufs, ihre akustischen Abstrahlungen sind eigentlich allenfalls Gegenstand für den Emissionsschutz. Doch auch, wenn ein Besucher den Maschinen des Tagebaus nie so nah kommen wird (darf), dass er die Rigidität ihrer Rhythmen, die Brutalität ihrer Lautstärken, ihr Klangvokabular des Berstens, Krachens und Dröhnens erfahren kann - diese Maschinen und ihre Geräusche sind das akustische Bild des Tagebaus und somit auch Gegenstand der künstlerischen Näherung.

Klanggestalt - Diesem Quellmaterial werden signifikante Klangproben entnommen, aus denen dann alle weiteren Bearbeitungsabläufe entwickelt werden: Aus ihnen werden Binnenstrukturen isoliert, Rhythmen und Lautstärkefolgen abgeleitet, die sich wiederholen, entwickeln, zu etwas Neuem springen, etwas Altes wieder aufgreifen. Aus ihnen werden Klangkörner destilliert, deren Formungen an Metall, Kohle, Stein und Sand, an Regen und Wind, an Rieseln, Tropfen und Strömen erinnern. Diese Klangkörner sind nicht mehr Geräusch, sondern bewusst geformte Klanggestalten, deren Prozesse den Betrachter auch zum Hörer werden lassen.

Verräumlichung - Jeder Raum wirkt durch seine Dimensionen und durch Form und Material seiner Begrenzungsflächen auf die Klänge, die in ihm stattfinden. So gibt es keine Intimität in einer Bahnhofshalle und keine Weite in einem Kleiderschrank. Einzig im Freien ergibt sich eine klangliche Neutralität, da hier die Reflexionen fehlen. Diesen einfachen Sachverhalt nutzt die Audio-Installation auf eindringliche Weise:
Der Zeichen-Kreis markiert einen Ort und schafft ein visuelles Innen, eine deutliche Abgrenzung zum Außen. Aber er schafft keinen, akustisch klar definierten Raum: So entsteht ein akustischer Zwischen-Raum, ein Meta-Raum, der Bühne für vielfältige Raum-Erfahrung werden soll. In der Audio-Installation werden die unterschiedlichsten räumlichen Situationen aus den (Impuls-)Folgen der O-Ton-Proben abgeleitet. Die Pole zwischen SO FERN SO NAH werden über Wege durch die verschiedensten Raum-Folgen dramatisch in Szene gesetzt.
6 Lautsprecher, kreisförmig im Innenring des Pavillons angeordnet, schaffen zudem extrem realistische räumliche Klang-Bewegungen, welche die Klänge förmlich greifbar werden lassen.

Echtzeitabstrahlung - Das jeweilige Hörereignis entsteht in Echtzeit, d.h. in dem Augenblick, in dem es zu hören ist. Es werden keine vorproduzierten Konserven abgespielt, sondern stets wird es neue, sich nicht wiederholende Klang-Realitäten geben. Dazu werden die einzelnen Abläufe in einem, eigens geschriebenen Computerprogramm formuliert und dann vom Computer in Echtzeit vor Ort realisiert.


 

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